8. Juli 2014

Eine Liebesgeschichte

Seit zwei Wochen tummle ich mich auf Sardinien. An der Costa Paradiso angelangt, besuchte ich heute die „La Cupola“. Von aussen betrachtet ein nicht wirklich schöner Betonbau, der an eine Sternwarte erinnert. Eine Kuppel der speziellen Art. Nicht nur optisch, auch ihrer Geschichte wegen. Der Liebesgeschichte zwischen Monica Vitti (mit bürgerlichem Namen Maria Luisa Ceciarelli) und Michelangelo Antonioni, die Ende der fünfziger Jahre begann. Sie Schauspielerin, er Regisseur. Zwischen 1957 und 1981 drehten sie gemeinsam sechs Filme. Doch die beiden verband nicht nur die Leidenschaft zum Film. Sie hatten seit Jahren eine Affäre, wovon nur wenige wussten. Dante Bini ist der Architekt der „La Cupola“, welche eine Rolle in der Liebesbeziehung spielte und Anfangs der siebziger Jahre gebaut wurde. Heute ist das Haus ein „Lost Place“ - ein verlorener Ort, der jedoch in jedem Raum die Sehnsucht von damals erahnen lässt.

Hier geht’s zur Galerie. Die ganze Geschichte zwischen Monica Vitti und Michelangelo Antonioni und wie es zur „La Cupola“ kam, wird in diesem Artikel wunderbar beschrieben.



Das Internet vergisst zwar nie, dennoch verschwinden ab und zu Online-Artikel aus Zeitungen. Aus diesem Grund habe ich mir erlaubt - für den Fall, dass der Link auf die Frankfurter Allgemeine eines Tages nicht mehr funktionieren sollte - den Artikel hier 1:1 wiederzugeben. Es wäre zu schade, den wundervollen Text von Niklas Maak zur Geschichte von Monica Vitti und Michelangelo Antonioni zu verlieren!



Frankfurter Allgemeine, Feuilleton
25.06.2012, von NIKLAS MAAK
© NMA


Das Kuppelhaus

Liebe in Beton an der Costa Paradiso

Die Affäre der Schauspielerin Monica Vitti mit dem Regisseur Michelangelo Antonioni ist eine der großen Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts. Auf Sardinien bauten sie sich ein grandioses Haus, das dringend gerettet werden muss.

Das von Dante Bini für Antonioni und Vitti entworfene Kuppelhaus. Als das Paar sich trennte, kaufte Vitti ein Haus in Sichtweite.

Pola erinnert sich, wie sie über die Küstenstraße kamen, in einem kleinen Fiat oder einem Alfa, vielleicht einem Mietwagen, sagt Pola, es war keiner der Sportwagen, mit denen sie in Rom herumfuhren. Es gibt ein paar Fotos, die sie auf der Reise zeigen, Bilder, die an Radarfotos erinnern; der Mann am Lenkrad sieht auf eine zuversichtliche Weise nachdenklich aus, oder so, als könne er ein Glück, das er habe, nicht fassen; sie schaut in die Ferne, und ihr turbulent zerwühltes, blondleuchtendes Haar ist mehr als eine Frisur: eher ein ganzes Programm, das im Fahrtwind entstandene Monument eines wilden Eigensinns.

Als Monica Vitti und Michelangelo Antonioni über die engen Straßen, die durch die Macchia führen, an die sardische Nordwestküste kamen, hatten sie bereits vier Filme miteinander gedreht, „L’Avventura“ und „La Notte“, „L’Eclisse“ und „Deserto Rosso“, und sie hatten seit Jahren eine Affäre, die erst ein paar Mitwissende in Cinecittá und dann die gesamte römische Klatschpresse in Atem hielt.

Ein Haus, wie man es noch nicht gesehen hat 

Weniger bekannt ist, dass das Paar sich Anfang der siebziger Jahre an dieser Felsküste von den Bauunternehmern Giovanni und Sebastiano Pola ein Haus bauen ließ, wie man es noch nicht gesehen hatte: eine Binishell, benannt nach dem Architekten Dante Bini - kein Haus mit einem Dach, sondern eine Betonschale, die aussah wie eine Mischung aus einem versunkenen Boulléeschen Revolutionskenotaphen und einem Labor für Experimente mit einem seltenen, komplizierten Gas, das schnell zu entweichen droht, oder eigenartigen magnetischen Kräften, und in gewisser Weise war der Bau auch genau das.

Als Vitti und Antonioni sich kennenlernten, war er Mitte vierzig und ein mittelmäßig erfolgreicher Regisseur. Er hatte am Centro Sperimentale di Cinematografia Filmtechnik studiert und Roberto Rossellini kennengelernt, war im Krieg Assistent bei Marcel Carné gewesen und hatte für die von Mussolinis Sohn Vittorio herausgegebene Zeitschrift „Cinema“ ein paar scheußliche Würdigungen faschistischer Propagandafilme verfasst.

Er hatte „Chronik einer Liebe“ gedreht, den Film, der seinen Ruhm begründete, und mit „Il Grido“ ein finanzielles Desaster angerichtet, weswegen er drei Jahre brauchte, um das Geld für „L’Avventura“ und die anderen Filme zusammenzubekommen, die ihn als Chronisten einer innerlich erkalteten Gesellschaft berühmt machten.

Die 1931 in Rom geborene Maria Luisa Ceciarelli, die sich schon früh Monica Vitti nannte, war neunundzwanzig, als sie mit „L’Avventura“ zum Star wurde; sie hatte in der Theatergruppe von Sergio Tofano Shakespeare gespielt und trat in einem von Antonioni inszenierten Stück auf, bei dem er sie entdeckt haben soll.

Die Dreharbeiten: eine Katastrophe 

Wenn man „L’Avventura“ sieht und von Vittis und Antonionis Affäre weiß, dann überlagern sich Leben und Film auf eine seltsame Weise: Monica Vitti spielt Claudia, die Freundin von Anna, die mit ihrem Geliebten Sandro, einem schon älteren Architekten, einen Ausflug zur äolischen Felsinsel Lisca Bianca macht. Dort streitet das Paar sich, Anna verschwindet, ein Gewitter zieht auf, die Ausflugsgesellschaft sucht Schutz in einer Hütte, und auf der Suche nach Anna kommen sich die ebenso phantastisch schöne wie eulenartig kritisch schauende Claudia und Sandro näher.

Die Dreharbeiten müssen, wenn man den Filmhistorikern glauben darf, eine Katastrophe gewesen sein: Während auf Lisca Bianca gefilmt wurde, ging die Produktionsgesellschaft pleite, dann erkrankte Lea Massari, die Anna spielt, und die Motorjacht, auf der gedreht werden sollte, tauchte nicht auf. Schließlich wurde es November; wegen der bewegten See konnte das Versorgungsboot nicht an der Insel anlegen, das Filmteam musste das Essen rationieren und auf der Insel in verlassenen Hütten übernachten, so wie Claudia und Sandro im Film - wobei im wirklichen Leben Antonioni selbst die Rolle des Sandro übernommen zu haben scheint.

Als „L’Avventura“ 1960 uraufgeführt wurde, buhte das Premierenpublikum; Vitti wurde trotzdem zum Star. Sie verkörperte einen neuen, autonom selbstbewussten Frauentyp: Nicht das tippelnd verkicherte Fräulein, das endlich entdeckt werden will, wie Sophia Loren es in „Wie herrlich, eine Frau zu sein“ vorführt, und nicht, wie Lea Massari in „L’Avventura“, die leidend passive Schönheit, die nur darauf wartet, endlich geheiratet zu werden.

Die Türe in die Vergangenheit 

Vitti drehte mit Antonioni vier Filme in vier Jahren und stürzte sich in eine langjährige Affäre, deren Turbulenz man schon an den Räumen erkennen kann, in denen sie stattfand: In Rom, schreibt die Biographin Charlotte Chandler, wohnten sie in zwei übereinanderliegenden Wohnungen, „die mit einer Falltür und einer Wendeltreppe verbunden waren, so dass sie sich treffen konnten, ohne gesehen zu werden. Nach dem Ende ihrer Affäre ließen sie die Falltür im Fußboden schließen. Enrica, Antonionis zweite Frau, die er nach der Geschichte mit Vitti heiratete, hob einmal den Teppich an, um mir die Tür zu zeigen.“

Da war sie schon, wie in einem der symbolistischen späten Filme Antonionis, eine Tür in eine Vergangenheit, die sich nicht mehr öffnen ließ.

In den spärlichen Dokumenten, die es zu dem Kuppelbau auf den Felsen der Costa Paradiso gibt, heißt es immer wieder, Michelangelo Antonioni habe sich das Haus in den frühen sechziger Jahren gebaut, um Monica Vitti zu beeindrucken, aber so, wie sie sich weigerte, zu ihm zu ziehen, habe sie sich geweigert, ihn in seinem Kuppelhaus zu besuchen - weswegen er ihr in einer löwenhaft entschlossenen Geste das gleiche Haus noch einmal in klein auf einen benachbarten Felsen stellen ließ, als gebautes Echo seines Hauses und als hausgewordenes Bild der Beziehung zu einer Frau, die Autonomie, und damit auch räumliche Distanz, zur Voraussetzung jeder Form von wirklicher Nähe erklärt hatte.

Tatsächlich steht, keine hundert Meter von der „Grande Cupola“ entfernt, eine identische „Piccola Cupola“, und tatsächlich sehen die Bauten aus wie das gebaute Bild einer Sehnsucht und einer Spannung, wie die Doppelform, die die Beziehung zweier autonomer Geister angenommen hat - nur leider stimmt die Geschichte nicht. Was ist also die Wahrheit hinter den Kugelhäusern am Meer?

Felsen im Zeichen des Löwen 

Von Olbia fährt man etwa eine Stunde bis nach Costa Paradiso, vorbei an Santa Teresa Gallura über die SP 90, die sich zwischen Ginster und Zistrosen und Ölbäumen und vom Seewind ratlos verbogenen Kiefern an der Felsküste entlangwindet. Es ist fast kein Verkehr hier um diese Jahreszeit, nachts kreuzen ein paar geschäftige Wildschweine die schmale Straße, die nach Buoncammino führt, und verschwinden in der Macchia.

An dieser rauhen, zum offenen Meer gewandten Küste, die das Gegenteil der idyllischen Costa Smeralda ist, gab es damals nicht viel mehr als ein paar frisch geteerte Pisten und die Hütten der Baufirma Pola. Sebastiano Pola, 1928 geboren, lebt noch heute hier, sein Sohn und sein Neffe führen den Betrieb. „Damals, 1965“, erzählt Pola, „gab es hier so gut wie nichts. Das ganze Terrain gehörte einem Signor Tizzoni. Er wollte hier eine Feriensiedlung bauen, etwas ganz Großes. Wir legten für ihn Straßen an und erschlossen die Grundstücke und bauten die Foresteria, in der auch Antonioni und Vitti schliefen, als wir ihr Haus bauten.“

Tizzoni brachte Freunde aus Rom an die Küste, darunter viele Sänger und Schauspieler. Antonioni und Vitti entdeckten den Ort durch ihn, sagt Pola. 1972 bestellten sie bei ihm ein Haus nach einem Entwurf von Dante Bini; Vitti unterschrieb den Vertrag.

Man weiß nicht, was genau Vitti und Antonioni damals suchten und warum sie sich genau hier ein Sommerhaus bauten. Aber man weiß, dass Antonioni von Curzio Malaparte fasziniert war, dem Schriftsteller, der sich Ende der dreißiger Jahre auf Capri ein ebenso archaisches wie modernes Haus auf einen Felsen der Punta Masullo gebaut hatte, in dem Godard später mit Brigitte Bardot „Le Mépris“ drehte.

In der Hitze des Korkeichendickichts 

Es gibt Szenen in Antonionis „La Notte“, die sich direkt auf den Tod von Malaparte beziehen, der 1957 in Rom an Lungenkrebs starb. Und wenn man die bizarre Steintreppe sieht, die sich wie ein vom Samba erfasster Felsen in den ersten Stock der Kuppel schwingt, wo Monica Vittis Zimmer lag, so, als habe ein superfuturistisches Ufo hier eine bizarre Gesteinsprobe genommen; wenn man durch die stehende Hitze des Korkeichendickichts hinuntergeht zu den großen, bizarren Felsplatten am Steilufer, auf denen Monica Vitti in den Sommertagen der frühen siebziger Jahre lag, und wenn man auf dieser Terrasse steht, auf der man nur ahnen kann, was hier alles passierte: Dann erscheint das ganze Haus auch wie eine Herausforderung des anderen großen Programmbaus, der Casa Malaparte, und des Films, der dort gedreht wurde - wobei der Film, der hier stattfand, wohl deutlich besser war. 

Der Entwurf der Grande Cupola stammte von dem 1932 geborenen Dante Bini; er hatte 1964 ein Patent für die sogenannte Binishell angemeldet, eine Bautechnik, bei der ein hausgroßer Gummiballon in ein kuppelförmiges Stahlgerüst eingehängt, aufgeblasen und dann mit Beton bespritzt wird. Wenn der Beton aushärtet, wird der Ballon herausgezogen; anschließend werden Türen und Fenster in die so entstandene Kuppel eingeschnitten.

Tizzoni war von den Kuppeln begeistert, und nicht nur Antonioni ließ sich ein solches Haus bauen: „Das kleine Haus neben Vittis und Antonionis Haus, das fälschlicherweise für das von Monica Vitti gehalten wird“, sagt der 84-jährige Sebastiano Pola, „das haben wir zur gleichen Zeit für den Maler Vacchi gebaut - der übrigens mit Antonionis Ex-Frau verheiratet war. Die Paare verstanden sich ganz gut.“

Nach der Trennung 

Bini verschwand bald wieder von Sardinien, nicht ohne auf der Isola di Cappuccini noch sieben weitere Binishells zu hinterlassen. Mittlerweile hat er 1600 Bauten errichtet, darunter viele Schulen und Einkaufszentren in Australien und den Vereinigten Staaten, wo er 1989 das erdbebensichere Billigbausystem „Pak-Home“ erfand und eine ökologisch nachhaltige Stadt für eine Million Einwohner entwarf, die statt in Autos oder Bussen auf solarstrombetriebenen Laufbändern durch die Gegend befördert werden.

Neben Antonioni siedelten sich in Costa Paradiso weitere Filmstars an, Macha Méril zum Beispiel, die mit dem Film „Im Zeichen des Löwen“ debütierte und später mit Godard drehte. „Sie kamen damals, als wir das Haus bauten, oft“, sagt Pola. „Antonioni war ein sehr starker Charakter, aber auch sehr zurückhaltend. Molto riservato. Vitti war ganz anders. Sie scherzte viel mit den Arbeitern herum, sie war sehr offen und energiegeladen.“ Vitti und Antonioni blieben einige Jahre; es kamen Gäste aus Rom, es gab viele Feste. Dann lernte Vitti den Regisseur Roberto Russo kennen und Antonioni die Kunststudentin Erica, mit der er später seine Zeit in einem Landhaus in Umbrien verbrachte und bis zu seinem Tod zusammenblieb.

Als Antonioni und Vitti sich trennten, erzählt Pola, habe sie sich ein normales Haus unterhalb der Piccola Cupola gekauft. Es muss ein seltsamer Anblick gewesen sein für Antonioni: seine Exfrau in einer Kugel, seine große Liebe in einer Hütte darunter. Später, als Vitti sie verkaufte, erwarb sie ein Lampenhersteller.

Einmal noch arbeiteten sie und Antonioni zusammen, als sie Ende der siebziger Jahre die Hauptrolle in seinem Fernsehfilm „Il mistero di Oberwald“ spielte. Michelangelo Antonioni starb 2007. Monica Vitti lebt, schwer erkrankt und abgeschirmt von der Öffentlichkeit, in Rom. Ihr gemeinsames Kuppelhaus soll Antonionis Tochter später an eine neapolitanische Familie verkauft haben, die es seit Jahren verfallen lässt: Der Beton zerbröckelt, die Stahlarmaturen liegen offen und rosten in der salzigen Luft. Noch ein paar Winterstürme, und das Haus wird zerstört sein.

Quelle: F.A.S.